Ausgehend von einer Debatte zum Umgang mit rechten Umtrieben an der FH Erfurt möchten das Bildungskollektiv BiKo an der FH Erfurt und die Rosa Luxemburg Stiftung diskutieren, wie man in Bildungsarbeit und Sozialer Arbeit mit der ständigen Anrufung umgehen kann, gegen (jeden) Extremismus (bzw., moderner ausgedrückt: gegen Radikalisierung) zu agieren.
Die Veranstaltungen werden unter http://radikaldemokratisch.arranca.de gestreamt
*** Podiumsdiskussion: Kritik an Prävention und Deradikalisierung ***
// 24.05.2022, 18:00 Uhr, FH Erfurt, Raum 6.01.21//
Die Extremismusprävention wird als Element der „wehrhaften“ Demokratie kritisiert, die behauptet, Demokratie durch ihre Verkürzung zu verteidigen. Für diese extremismuspräventive Demokratieförderung sind neue staatliche Programme aufgelegt worden, die schnell gewachsen und heute weit besser ausgestattet sind als Förderprogramme der allgemeinen politischen
Bildung. Die Entwicklung wird vor allem von politischer Seite vorangetrieben und ist dabei vielfach sicherheitspolitisch angetrieben und symbolisch sowie emotional hoch aufgeladen. In vielen Facetten ist die auch von einer großen Zahl zivilgesellschaftlicher Institutionen begrüßte extremismuspräventive Demokratieförderung jedoch sehr ambivalent zu beurteilen: Zunächst fußt sie auf einem eher skeptischen Blick auf die Demokratiefähigkeit der Bürger:innen, die hier eher als potentielle Gefahr denn als positive Triebkräfte einer Demokratisierung gesehen werden. In den Programmen wird außerdem sowohl mit Blick auf die Themensetzung als auch bei der Institutio-nenbildung und der Kontrolle der Projekte sehr stark staatlich gesteuert. Darüber ist inzwischen eine ernst zu nehmende demokratietheoretische Debatte entstanden, ob sich durch diese Form der „Demokratieförderung“ das Verhältnis von (Zivil-)Gesellschaft und Staat nicht eher einschneidend und undemokratisch verändert. Was also oberflächlich betrachtet als positive Entwicklung von Engagementpolitik und Zivilgesellschaft gesehen wird, könnte unter der Hand durchaus postdemokratische Entwicklungen fördern.
Julika Bürgin ist Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Bildungsforschung und Politische Bildung. Sie ist Autorin der Publikation „Extremismusprävention als polizeiliche Ordnung — Zur Politik der Demokratiebildung“.
Benedikt Widmaier ist Politikwissenschaftler, Direktor der Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz und Autor der Publikation: „Extremismuspräventive Demokratieförderung“.
*** Wer schützt die wehrhafte Demokratie vor sich selbst? ***
// 07.06.2022, 18:00 Uhr, FH Erfurt, Raum 6.01.21//
Es scheint klar zu sein: Die „Lehre“ aus dem Scheitern der Weimarer Republik ist die „wehrhafte Demokratie“. Doch die ist seltsam unwehrhaft gegen rechte Parteien & Co. In Vortrag und Diskussion wollen wir zunächst die Geschichte der „wehrhaften Demokratie“ rekonstruieren, um dann zu prüfen, ob sie den aktuellen Tendenzen der Rechtsentwicklung etwas
entgegensetzen kann — oder nicht selbst Teil des Problems ist. Diese Frage stellt sich auch angesichts der aktuellen Fälle innerhalb staatlicher Institutionen wie Polizei, Verfassungsschutz oder Bundeswehr (NSU, NSU 2.0, der „Hannibal“-Fall). Entsteht die Gefahr nicht viel mehr in der Mitte der Gesellschaft, in ihren insbesondere exekutiven Institutionen und durch die Verschiebung der politischen Koordinaten nach rechts?
Dr. Sarah Schulz ist Politikwissenschaftlerin und promovierte zum Thema „Die freiheitliche demokratische Grundordnung“. Gerade erschien von ihr und Maximilian Fuhrmann „Strammstehen vor der Demokratie — Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik“, im Schmetterling Verlag.
*** Das radikale Erbe der sozialen Arbeit ***
// 28.06.2022, 18:00 Uhr, FH Erfurt, Raum 6.02.21//
Soziale Arbeit hat zum einen die Aufgabe, soziale Ordnung herzustellen, indem abweichendes Verhalten kontrolliert und sozial erwünschtes gefördert wird, zum anderen geht es darum, Selbstbestimmung zu ermöglichen. In Deutschland hat sich dieses Doppelmandat von Hilfe und Kontrolle in mehreren Zyklen als Kompromiss zwischen verschiedenen Interessengruppen
herausgebildet: „Zwischen Klassenkampf und Sozialreform“ in den 1920er-Jahren, „zwischen Autonomie und Integration“ im Nachgang der 1968er-Revolte, zwischen Nutzer*innenorientierung und Verwaltung heute. In der Rückschau zeigt sich: die fortschrittlichsten Aspekte Sozialer Arbeit (z.B. Empowerment, Parteilichkeit, Partizipation, Selbstorganisierung) wurden in diesen Konflikten von radikalen Strömungen eingefordert und (zumindest zum Teil) erkämpft. Woraus folgt: Radikalität ist wichtig für sozialen Wandel, sie zu bekämpfen, bedeutet, den Druck, der in Richtung einer humaneren Gesellschaft aufgebracht wird, zu mindern und Stillstand herbeizuführen — letztlich Herrschaft zu sichern und damit nur noch die eine Hälfte des Doppelmandats, nämlich Kontrolle, auszuüben. Das wiederum lässt sich als Teil eines neuen Autoritarismus, letztlich auch eines wieder erstarkenden Klassenkampfes von oben deuten. In Anschluss an die Diskussion dieser These wollen wir bei der Veranstaltung ausloten, wie sich progressive Sozialarbeiter*innen gegen diese autoritäre Strategie und für eine kritische Soziale Arbeit organisieren können.
Eine Kooperation des Biko und der RLS Thüringen im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Radikal Demokratisch”.
Quelle und weitere Informationen: http://biko.arranca.de